Eröffnungs-Manifest, 1. Dada-Abend
(Opening-Manifest of the 1st Dada-Evening)
Zürich, 14. Juli 1916
Dada ist eine neue Kunstrichtung. Das kann man daran erkennen, daß
bisher niemand etwas davon wußte und morgen ganz Zürich davon
reden wird. Dada stammt aus dem Lexicon. Es ist furchtbar einfach. Im
Französischen bedeutets Steckenpferd. Im Deutschen: Addio, steigt mir
bitte den Rücken runter, auf Wiedersehen ein ander Mal! Im
Rumänischen: 'Ja wahrhaftig, Sie haben Recht, so ist es. Jawohl,
wirklich. Machen wir'. Und so weiter.
Ein internationales Wort. Nur ein Wort und das Wort als Bewegung. Es ist
einfach furchtbar. Wenn man eine Kunstrichtung daraus macht, muß das
bedeuten, man will Komplikationen wegnehmen. Dada Psychologie, Dada
Literatur, Dada Bourgeoisie und ihr, verehrteste Dichter, die ihr immer mit
Worten, nie aber das Wort selber gedichtet habt. Dada Weltkrieg und kein
Ende, Dada Revolution und kein Anfang. Dada ihr Freunde und Auchdichter,
allerwerteste Evangelisten. Dada Tzara, Dada Huelsenbeck, Dada m'dada, Dada
mhm' dada, Dada Hue, Dada Tza.
Wie erlangt man die ewige Seligkeit? Indem man Dada sagt. Wie wird man
berühmt? Indem man Dada sagt. Mit edlem Gestus und mit feinem Anstand.
Bis zum Irrsinn, bis zur Bewußtlosigkeit. Wie kann man alles Aalige
und Journalige, alles Nette und Adrette, alles Vermoralisierte, Vertierte,
Gezierte abtun? Indem man Dada sagt. Dada ist die Weltseele, Dada ist der
Clou, Dada ist die beste Lilienmilchseife der Welt. Dada Herr Rubiner, Dada
Herr Korrodi, Dada Herr Anastasius Lilienstein.
Das heißt auf Deutsch: die Gastfreundschaft der Schweiz ist über
alles zu schätzen, und im Ästhetischen kommt's auf die Norm an.
Ich lese Verse, die nichts weniger vorhaben als: auf die Sprache zu
verzichten. Dada Johann Fuchsgang Goethe. Dada Stendhal. Dada Buddha, Dalai
Lama, Dada m'dada, Dada m'dada, Dada mhm' dada. Auf die Verbindung kommt es
an, und daß sie vorher ein bißchen unterbrochen wird. Ich will
keine Worte, die andere erfunden haben. Alle Worte haben andere erfunden.
Ich will meinen eigenen Unfug, und Vokale und Konsonanten dazu, die ihm
entsprechen. Wenn eine Schwingung sieben Ellen lang ist, will ich
füglich Worte dazu, die sieben Ellen lang sind. Die Worte des Herrn
Schulze haben nur zwei ein halb Zentimeter.
Da kann man nun so recht sehen, wie die artikulierte Sprache entsteht. Ich
lasse die Laute ganz einfach fallen. Worte tauchen auf, Schultern von
Worten; Beine, Arme, Hände von Worten. Au, oi, u. Man soll nicht
zuviel Worte aufkommen lassen. Ein vers ist die Gelegenheit, möglichst
ohne Worte und ohne die Sprache auszukommen. Diese vermaledeite Sprache, an
der Schmutz klebt wie von Maklerhänden, die die Münzen abgegriffen
haben. Das Wort will ich haben, wo es aufhört und wo es
anfängt.
Jede Sache hat ihr Wort; da ist das Wort selber zur Sache geworden. Warum
kann der Baum nicht Pluplusch heißen, und Pluplubasch, wenn es geregnet
hat? Und warum muß er überhaupt etwas heißen? Müssen
wir denn überall unseren Mund dran hängen? Das Wort, das Wort, das
Weh gerade an diesem Ort, das Wort, meine Herren, ist eine öffentliche
Angelegenheit ersten Ranges.